Stromoder,gegen Wind und Wellen
Stromoder, gegen Wind und Wellen
Nach einer längeren Anreise erreichen wir Lebus, einen kleinen Ort an der Oder, Flusskilometer 595. Bei einem kleinen Hof nahe dem Oderdeich können wir unser Tipi aufbauen. Ein schöner, klarer Sternenhimmel stimmt uns in die Nacht ein. Schön, ein paar freie Tage. Am nächsten Morgen wird erst einmal gut gefrühstückt. Von den Anwohnern bekommen wir einen guten Tipp, wie wir die Oder erreichen. Per Bootswagen schieben wir unseren Canadier über Deich und Vordeichsgelände, an Zäunen und über Altwasserfurten zur Oder. Der Strom empfängt uns mit Sandufer und einer respektablen Strömung. Also los, schnell den Adkinson Canadier gepackt, denn das Wasser lockt.
Vorerst haben wir Rückenwind und zusammen mit der Strömung machen wir leicht 12 km/h. Uns umfängt schnell die typische Landschaft eines größeren Flusses mit Wiesen, Bruchland, Weiden, Erlen, Schilf und Hartgräsern. Die polnische Uferlinie sieht oft urwüchsiger aus. Auf der deutschen Seite dominieren die relativ neu überholten und erhöhten Deiche. Auch jetzt wird hier und da daran gearbeitet. Das Deichprofil ähnelt den Nordseedeichen. Die regelmäßigen Oderhochwasser erfordern einen soliden Schutz. Ständig sind viele verschiedene Vögel um uns herum aktiv. Auf dem Wasser schwimmen viele verschiedene Enten und viele Kormorane. Im Schilf sind die Singvögel unterwegs. Dicht über dem Wasser fliegen immer wieder Säger und in der Luft sieht man regen Flugbetrieb von Gänsen und Kranichen. Weit entfernt kreist ein Seeadler in der Höhe.
Wir lassen die Landschaft an uns vorüber ziehen. An den Buhnen stehen oft Angler. Sonst sieht man kaum Menschen. Bald passieren wir Küstrin / Kostrzyn mit der großen Burganlage. Hier werden von polnischen Spezialisten Restaurierungsarbeiten ausgeführt. Sonst sieht man wenig von der Stadt. Die Bahn- und Autobrücken werden fleißig genutzt und nicht mehr nötige Pfeilerreste werden von Solitärbäumen als Pionierpflanzen begrünt. Bald sind wir wieder im Grünen. Von rechts mündet die Warte in die nun breiter werdende Oder. Noch ein paar Kilometer und wir schauen uns nach einem uns zusagenden Übernachtungsplatz um. Nach gut 30 km sagt uns eine Bucht mit Sandufer zu und in bewährter Arbeitsteilung baut Albert das Tipi auf und ich kümmere mich um Essen, Feuerschale, Dutch Oven und Co. Am Ufer finde ich Süsswassermuscheln. Ein Zeichen für eher noch sauberes Wasser. Auf dem abendlichen Fluss fährt noch ein Schubverband dahin und bei uns am Ufer dampfen gute Gerüche aus dem köchelnden Dutch Oven. Es gibt ein Mulligatawny mit Hähnchenschenkel, Wurzeln, Cranberrys usw. Was für ein Genuss nach so einem Tag! Langsam geht die Sonne unter.
Nach einer ruhigen Nacht am polnischen Ufer starten wir sehr ausgeschlafen mit einem guten Frühstück mit heißem Kaffee. Die Temperaturen bewegen sich wieder so um 10-12 °C, es ist sonnig aber der Wind nimmt ständig zu. Wir bauen unser Lager ab und freuen uns, dass das Gepäck so eng und begrenzt in den Canoepacks und Basket verstaut ist denn jetzt ist es nötig für den Wind von schräg vorn entsprechend zu trimmen. Noch einen Blick über unseren Übernachtungsplatz, alles sauber, nichts liegen lassen und wir starten und suchen, soweit möglich, etwas Windschutz. Bei Böen haben wir „weiße Wellen“ und unsere Durchschnittsgeschwindigkeit geht auf 4,5 km/h zurück. Der Wind macht es kälter. Paddelpausen sind nicht möglich, der Wind drückt uns gegen die Strömung zurück, wenn wir nicht paddeln. In Kienitz, wollen wir unser Trinkwasser ergänzen und Brot kaufen. Trinkwasser bekommen wir von netten Anwohnern aber der ortsansässige Laden hat geschlossen. Einen Bäcker gibt es seit Jahren nicht mehr. Wir bekommen den Tipp es im Nachbarort Groß Neuendorf noch einmal zu versuchen. Der liegt auch an der Oder stromabwärts, also weiter zur Einkaufsfahrt per Canadier. In Groß Neuendorf glänzt gleich ein „Lebensmittel“ Schild in der Sonne. Nach kurzer Nachfrage aber auch hier kein Erfolg. Dafür entdecken wir ein altes Ladenschild, was ein Haus als „Colonialwarengeschäft mit Farben und Drogen“ mit einer zweistelligen Telefonnummer ausweist. Das war sicher einmal ein wichtiger Einkaufspunkt im Ort. Auf dem Deich wird per Informationstafeln an das Oderhochwasser 1997 und dem drohenden Deichbruch erinnert. Unglaublich, wie hoch die Wassermassen bei diesem größten Hochwasser hier an den Deichen standen. Gerade als wir wieder im Canadier sitzen fährt oben der regionale Bäckerwagen vorbei. Keine Chance, den durch winken auf uns aufmerksam machen zu können. So paddeln wir weiter. Trinkwasser haben wir ja und ich habe noch 1 kg Vollkornmehl irgendwo im Küchenpack. Da sollte sich doch etwas `draus machen lassen. Wieder nimmt uns die Strömung mit. Vorbei an weit in den Fluss reichenden Buhnen, die zu großen Holzsammelplätze werden. Mächtige Äste und ganze Bäume nimmt die Stromoder mit und wurden an den Buhnen „aufgefangen“. Denen möchten wir besser nicht im Strom begegnen. An einer windgeschützten Stelle mit Sandufer machen wir Mittagshalt. Der anhaltende Wind zerrt an den Kräften und drückt die mögliche Tagesstrecke nach unten. Bald paddeln wir weiter und nach zwei weiteren Stunden halten wir nach einem guten Übernachtungsplatz Ausschau. An einer Gruppe alter Weiden mit Biberbiss finden wir eine (noch) ruhige Ecke mit Platz für das Tipi. Schnell das Tipi aufgebaut, innen gemütlich eingerichtet und den Küchenpack aus dem Boot. Während wir wieder den Dutch Oven anheizen und Gemüse schnibbeln, ziehen über uns die Zugvögelformationen dahin und Richtung Landesinnere sehen wir zunehmend Autos stehen und Leute wartend stehen oder gehen, Was passiert da? Keine halbe Stunde später ziehen immer mehr Gänse und Kraniche über uns hinweg und wir hören ausdauernde Schüsse. Ehe wir uns versehen sind wir mitten in einer Vogeljagd, sehr nahe. Unter den Vögeln bricht Unruhe aus und auch wir sind etwas nervös. Trotzdem setzten wir unser abendliches Kochen fort und gleich nach dem Essen backe ich noch ein Vollkornbrot für unsere weitere Verpflegung. Nun wird es mit zunehmender Dunkelheit auch wieder stiller. Die Tierwelt braucht aber noch etwas Zeit um wieder zur Ruhe zu kommen. Die Nacht bleibt dann auch ungestört und der Morgen beginnt mit noch mehr Wind. Draußen auf der Oder sieht man gleich die Wellen mit weißen Schaumkronen. Das typische Bild bei Strömung gegen Wind Bedingungen. So trimmen wir den Atkinson, nach dem Frühstück und Lagerabbau, extra für Gegenwindbedingungen und los. Am Horizont sehen wir Höhenzüge um 60 Meter Höhe. Noch ist kaum die Laubfärbung zu erkennen. Der erste Frost fehlt noch. Langsam geht es voran. Mal paddeln wir eine Zeit lang schweigend, mal machen wir uns gegenseitig auf Etwas aufmerksam. Die Betriebsgebäude der Schleusenanlage Hohensaaten sind ab und zu durch das Ufergehölz zu sehen. Da wollen wir nach 16 Kilometern abbiegen. Kurz um die Ecke nach links und schon sehen wir die große Schleusenanlage. Die Anleger sind eher für Binnenschiffe ausgelegt. Bis auf Eins sind die Warteplätze aber leer. Hier war früher sicher deutlich mehr los. Wir paddeln vor bis zum Anleger „Sport“. Auch der ist für uns noch viel zu groß. Ich klettere die Stahlleiter hoch und kläre beim Schichtleiter ob eine Schleusung möglich ist, alles ok. Schnell zum Canadier zurück und schon ändert sich die Lichtanlage von rot/rot auf rot/grün, was heißt Schleusung in Vorbereitung. Da hebt sich das große Tor auch schon wie von Geisterhand, lautlos in die Höhe. Wir werden exklusiv geschleust – kleines Boot in großer Schleuse. Der Wasserstand geht runter. Da merkt man, wie tief das Oderland zum Fluss liegt und wie gefährlich die Oderhochwasser werden könnten. Bei der Ausfahrt aus der Schleuse kommt uns langsam ein Binnenschiff entgegen. Zwei sehr unterschiedliche Wasserfahrzeuge begegnen sich! Wir paddeln noch 8 km die alte Oder bis zum Ort Oderberg lang. Die Ufer sind hier teilweise hügelig und fast immer bewaldet. Der Wind bleibt uns auch hier treu, dafür sind die Wellen nicht mehr so hoch. In Oderberg liegt ein alter Raddampfer am Ufer, das Museumsschiff Riesa. Hier beenden wir unsere Tour und hier ist auch der Kanuverleih K. Förster zuhause. Der Rücktransport nach Lebus ist sehr kurzweilig. Herr Förster berichtet noch von vielen regionalen Details und hat viele Informationen vom Odergebiet zu erzählen.
Enno Meier